Ein Bild einer Gemeinschaft
Gespräch mit Stephan Huber, geführt von Uwe M. Schneede
Schneede: Stephan Huber, Sie haben in meinen Augen ein sehr aufregendes und eindrucksvolles Vorhaben initiiert, das Engadinprojekt. Geplant war es als gemeinsame Unternehmung mehrerer Künstler. Woher kannten Sie sich, wie kamen Sie zusammen?
Huber: Da das Projekt ursprünglich mein Vorhaben war, habe ich die Beteiligten nach meinen damaligen künstlerischen Vorlieben bestimmt; entscheidend waren aber auch die freundschaftlichen Beziehungen. Die Künstler kannten sich zum Teil aus der Zeit der Ausbildung. Kummer und Klingelhöller traf ich in New York über das DAAD bzw. das PS1. Klingelhöller führte mich mit Thomas Huber und Luy zusammen, Kummer mit Pitz, Herz und Lehnerer studierte zusammen mit mir an der Münchner Akademie.
Schneede: Der entscheidende und auf den ersten Blick befremdende Ausgangspunkt scheint mir die Idee der Auftragsvergabe. Wie kam es dazu?
Huber: Kurz nach der Akademie hat man große Pläne im Kopf, viel Kraft im Bauch, will die ganze Welt bewegen und ist mit nichts zufrieden. Man hasst Halbheiten und Unbestimmtheiten, obwohl man sich doch selbst darin bewegt. Die intellektuellen Ansprüche sind schon viel größer als die Möglichkeiten der künstlerischen Umsetzung. So wollte ich eine Ausstellung inszenieren, die völlig anders sein sollte als alles, was wir damals sahen.
Jeder von uns hatte zu dieser Zeit begrenzte Ausstellungserfahrungen, und bereits daraus formulierte sich ein Unwohlsein aufgrund der Beliebigkeit. Es scheint, jede Arbeit sei an jedem Ort ausstellbar. Auf diese Unverbindlichkeit reagierten die meisten von uns fast mit einer moralischen Gegenposition: Kunst sollte direkt in die Gesellschaft einwirken. Anstehende Fragen, die jenseits von Ästhetizismen lagen, sollten beantwortet werden. Man muss dies auch zeitbedingt sehen: Die neuen Wilden waren „angesagt“. „Anything goes“ begann das Leitmotiv zu werden; Zynismus, Pubertät und Plattheit wurden die Verkaufsschlager. Ich glaubte, man müsse dem allen eine Ausstellung entgegensetzen, die notwendig ist, und so kam ich auf den Gedanken, nach einem traditionellen Auftragsmodell zu verfahren, das die Beliebigkeit ausschließen und die ständig von uns diskutierten Fragen zur Basis haben sollte. Man kann also sagen, sowohl das gefühlsmäßige Erkennen eines Defizits als auch unsere bis dahin geführte intellektuelle Auseinandersetzung waren der Beginn der Zusammenarbeit.
Schneede: Und die Auftragsvergabe durch einen Künstler? War für Sie die punktuelle Aufhebung der Beliebigkeit und Verfügbarkeit direkt an einen solchen Modus gebunden? Oder wären auch andere Auftraggeber denkbar gewesen?
Huber: Auf der einen Seite schien die Vergabe der Aufträge durch einen von uns notwendig, eben aufgrund der Kenntnis unseres Unbehagens, aufgrund der Kenntnis unseres Diskussionsstandes und letztendlich auch aufgrund des gegenseitigen Vertrauens. Auf der anderen Seite empfanden wir die Auftragsvergabe durch einen Künstler eher als Notlösung. In dieser Ambivalenz erreichten wir im Engadin einen Punkt, an dem wir uns einen realen Auftraggeber wünschten, um unsere selbst gewählte schwierige Position verlassen zu können. Ich konnte die mäzenatischen Vorbedingungen eines Auftraggebers eigentlich nur ideell erfüllen, als Figur im Spiel, das jedoch Realität werden sollte. Wir versuchten, uns einen Idealzustand zu schaffen mit Hilfe einer Konstruktion.
Schneede: Ein Ausstellungsmacher wäre für Sie als Auftraggeber also auch in Frage gekommen?
Huber: Ein Ausstellungsmacher wohl weniger. Erstens wäre er nicht involviert gewesen in den Stand unserer Gespräche, ich meine hier die Zeit lange vor dem Engadinprojekt, z.B. Gespräche und Diskussionen während der „Im Theater“-Veranstaltung. Er wäre also von außen in ein dichtes Netz von gemeinsam geteilten Meinungen und Beziehungen hineingestoßen, fast voyeurhaft. Außerdem glaube ich, dass Ausstellungsmacher doch sehr temporäre Interessen haben; wir jedoch wollten fast ein immerwährendes Exempel statuieren. Wir wollten ja nicht nur eine 453ste Gruppenausstellung der Saison zusammenstellen.
Es sollten nicht wie in gängigen Gruppenausstellungen solitäre Kunstwerke gezeigt werden, vergleichbar den Edelmarken aus den Luxusgeschäften. Jedem Künstler sollte eine Arbeit aufgrund seiner speziellen Fähigkeit zugewiesen werden. In der Gesamtheit sollten sich die Arbeiten zu einem großen geschlossenen Bild verdichten. Doch zurück zu Ihrer Frage: Mein Ideal wäre also nicht ein Ausstellungsmacher, sondern eine kunstinteressierte Person gewesen, die uns zum Beispiel die Aufgaben übertragen hätte, sein Haus zu gestalten, nicht im dekorativen Sinne, sonder eher als Neuformulierungen von Bedeutungen bestimmter Orte (der Garten, das Bad, die Halle, usw.) Dann hätten wir uns nicht permanent unser Spiel verdeutlichen müssen, wir hätten die Präzisierung über die reale Ebene der Arbeit erreicht.
Schneede: Der Ausgangspunkt war also eine Art Spiel. Sie hätten die rolle eines fiktiven Auftraggebers gespielt, und zwar eines fiktiven öffentlichen, denn am Ende sollte je eine öffentliche Ausstellung stehen. Ging es eigentlich auch um die Regeln der Institutionen? Statt ihnen zu gehorchen, eigene aufzustellen?
Huber: Da viele Regeln der Institutionen für uns nicht nachvollziehbar waren, wollten wir ihnen, mussten wir ihnen notgedrungen unsere eigenen entgegensetzen. Wird man durch Regeln gegängelt oder ausgeschlossen, liebt man sie nicht besonders. Auch heute glaube ich noch, man sollte versuchen, die Regeln selbst zu setzen.
Schneede: Ein Leitgedanke war, dass aus den verschiedenen, eigenständigen künstlerischen Beiträgen eine Einheit entstehen sollte, nicht als ein kollektives, auch nicht als ein zusammengetragenes Werk, sondern als Symbiose, in der ein Teil vom anderen abhängig ist und alle zusammen einen übergreifenden Entwurf bilden, extrem weit entfernt von gängigen Gruppenausstellungen. Sagen Sie noch etwas zum gemeinsamen inhaltlichen Nenner? Eine Vorstellung von der Welt? Oder eine Vorstellung von der Kunst? Beides?
Huber: Der kleinste gemeinsame Nenner, das darf man nicht vergessen, war die Freundschaft. Es gab auch ein psychisches Verlangen: Private Freundschaften sollten manifest werden in einem stringenten gemeinsamen Kunstwerk. Die Einheit als Moment der Stärke, die Einbettung macht sicher: eine Phalanx gegen die dem Künstler latent drohende Vereinsamung. Dennoch: Ein Ziel zu formulieren, das präziser als Allgemeinplätze war, erwies sich als sehr schwierig. Die Künstler erwarten das von mir, was ja auch innerhalb des Spiels richtig gewesen wäre, was ich jedoch im Realen nicht erfüllen konnte. Die größten Auseinandersetzungen im Engadin fanden bei dem Versuch statt, gemeinsame inhaltliche Leitlinien zu formulieren. Eigentlich bei dem Versuch der Künstler, dem Auftraggeber unter die Arme zu greifen. Dabei verlor der Auftraggeber jedes Mal gehörig an Autorität. Obwohl es mir am Anfang nicht so schien, spiegelten unsere Positionen letztlich doch das gesamte Spektrum der Möglichkeiten wieder: von der Kunst als sozialem Instrument bis hin zum aristokratischen l’art pour l’art.
Abstrakte Formulierungen wie „Ein Bild der Gemeinschaft“ konnten von allen getragen werden, wurden faktisch jedoch von jedem anders interpretiert.
Ich glaube, dass die FORM unseres Modells bereits ein gehöriges Maß an Utopie – von der Welt und von der Kunst – in sich hatte. Bereits in der Akzeptanz dieser Form lag doch die Festschreibung des Mangels am allgemeinen Zustand und damit auch logischerweise der Wille, die Gegebenheiten zu verändern. Über die Form konnten wir uns treffen.
Schneede: Gab es für Sie keine Vorbilder, Beispiele, die Ihrer Diskussion eine Richtung hätten geben können?
Huber: Nein, das war nie ein Diskussionspunkt. Sicher, im nach hinein bin ich auf einige Beispiele gestoßen, nicht direkt vergleichbar, aber doch interessant in Bezug auf unser Projekt, zum Beispiel die Ausgestaltung von Léonce Rosenbergs Wohnung durch Künstler (de Chirico, Savinio, Picabia) fast in Form von Aufträgen, sozusagen als Bestellungen. Ein Vorbild jedoch gab es nicht.
Schneede: Vielleicht nicht direkt, aber indirekt? Was ist mit El Lissitzkys „Kabinett von Abstrakten“ in Hannover? Lissitzky meinte, die großen internationalen Bilderrevuen glichen einem Zoo, in dem die Besucher gleichzeitig von tausend verschiedenen Bestien angebrüllt wurden, der Besucher werde so in eine Passivität eingelullt, die er, El Lissitzky, für falsch halte. So schuf er eine räumliche Einheit für die Werke verschiedener Künstler, eine Einheit, die mehr war als die Summe der Einzelwerke. Und inhaltlich wurde die Idee des Konstruktivismus damit formuliert.
Huber: Auch ohne dass ich dieses Beispiel näher kenne, kann ich einen entscheidenden Unterschied feststellen. Sie empfanden ihre Zeit als Aufbruchsituation, offen für kollektive Prozesse, Manifeste wurden gemeinsam unterzeichnet, der Kunst wurde eine Bedeutung innerhalb der Gesellschaft zugesprochen. Unsere Zeit verkörpert eher das Gegenteil. Kunst wird bei uns heute hochgehalten als das letzte Reservoir des Individualismus, eigentlich eine starke Vorstellung des 19. Jahrhunderts. Deshalb schwirren ja auch so viele Missverständnisse vom Künstlertum herum.
Schneede: In den Papieren zum Engadin-Projekt – Sie haben eben darauf angespielt – ist die Rede von der Realisierung des „Bildes der Gemeinschaft“. Auf der einen Seite treten Dinge wie Treppe, Tisch, Brunnen, Haus, Balkon auf, eigentlich Gegenstände der Möblierung des alltäglichen Lebens zugeordnet, und zwar aus zwei Bereichen, einmal aus dem eher privaten Bereich – Glück, Privatheit, Ruhe -, zum anderen aus dem Bereich des sozialen Verhaltens: Platz und Gespräch. Ist darin nicht doch eine gemeinsame inhaltliche Intention abzulesen? Cyrano de Bergerac hat im 17. Jahrhundert die Utopie definiert als gelehrten und am besten ausgedachten Traum der Welt. Einerseits die künstlerische Symbiose als Utopie, andererseits eine Utopie vom menschlichen Zusammenleben?
Huber: Natürlich hatten wir eine inhaltliche Intention, was sich doch im Versuch des Erstellens des „Bildes der Gemeinschaft“ äußert. Die in Ihrer Frage beinhalteten zwei Bereiche Privat und Öffentlich gingen darin auf. Den Begriff der Utopie des menschlichen Zusammenlebens finde ich rückblickend zu hoch gegriffen. Vielleicht ging es mehr um Vorschläge zur Gestaltung bestimmter Handlungsformen und deren Orte. Jeder der beteiligten Künstler hatte utopische Momente im Kopf; dass die ins Projekt einflossen, ist klar. Wie oben schon erwähnt, hatten einige von der Kunst fast eine Vorstellung als moralische Anstalt.
Schneede: Es waren im Engadin ja auch philosophische Köpfe dabei. Hat man sich beispielsweise mit Sozialutopie aus der Historie befasst? Titel wie „Das Haus der Ruhe“ schienen mir darauf hinzuweisen.
Huber: Es wurde mehr über die Vorlieben der einzelnen geredet. Da die Aufträge von mir stammten, tauchten darin auch meine Vorlieben auf. Beim „Haus der Ruhe“ hatte ich immer Ledoux im Kopf – dass Pitz diese Aufgabe dann ganz anders lösen wollte, liegt auf der Hand. So prallten natürlich in der Diskussion die verschiedenen Vorlieben und intellektuellen Verpflichtungen aufeinander. Wir gingen aber nicht so sehr theoretisch an das Projekt heran, sondern eher praktisch. Wir begannen sehr früh, nach einer Umsetzung zu suchen. Ab einem bestimmten Punkt wurde man der Diskussionen müde und hatte wohl auch Angst, alles tot zu reden.
Schneede: Spielten Sie Ihre Rolle als Auftraggeber so eindringlich, dass Sie auch herrisch auftraten, oder entstanden die Aufträge mehr aus dem gemeinsamen Gespräch?
Huber: Autoritär ging es nicht zu, jeder war ja bereit, sich auf die Aufträge einzulassen. Mein Hauptkraftakt lag eigentlich am Beginn. Danach ordnete ich mich selbst wieder in die Gemeinschaft. Die Künstler, somit auch ich, sollten direkt gefordert werden. Im Vergleich zum allgemeingültigen laissez-faire ist das sicherlich eine herrische Geste, die aber als Voraussetzung für das Projekt von allen akzeptiert wurde.
Schneede: Zum Ort und zu den Ausstellungsbedingungen. Es war beabsichtigt, das gemeinsame Werk an einem neutralen Ort zu zeigen, bewusst nicht in einem Museumsambiente, aber auch nicht in einer Industriehalle, sondern an einem neutralen, funktionstüchtigen Ort, der organisatorisch an ein Museum angebunden sein sollte. War das eine notwendige Voraussetzung für die exemplarische und die temporäre Setzung?
Huber: Der Ort hätte in keiner Weise besetzt sein dürfen mit Kunst. Ich sah in unserem Projekt etwas Einmaliges, etwas Neues, fast ein Lehrstück. Die Situation, dass eine Ausstellung abgebaut und unsere aufgebaut wird usw., hätte es auf keinen Fall geben dürfen. Unsere Ausstellung sollte also nicht eine Möglichkeit unter vielen sein, sondern mehr, etwas Beispielhaftes. Eigentlich sollte es ja auch keine temporäre Setzung sein, sondern das Ideal war eine dauerhafte Einrichtung. Es durfte kein Ort sein, der in sich schon wieder eine Weltsicht beinhaltet hätte, zum Beispiel ein barocker Raum, in dem unser Projekt dann in der form des Reagierens sich manifestiert hätte.
Schneede: Die uneingeschränkte Majestät des Besonderen.
Huber: Ja, unsere Arbeit sollte immer die Hauptsache sein, ein ideelles Juwel in einem adäquaten Raum.
Schneede: Im Februar 1984 kommt es bei Ihrem Treffen in Düsseldorf dazu, dass das Projekt fast abrupt fallengelassen wird. Und Sie waren sich darin alle einig.
Huber: Viele im Projekt liegende Schwierigkeiten sind schon angesprochen. Aber eigentlich waren sie nicht hinreichend für den Abbruch des Projektes. Das Engadin selbst erforderte eine enorme Kraft. Streitereien, endlose Diskussionen, Unverständnis usw. Aber dennoch, am Ende des Engadin-Aufenthaltes stand ein festes Projekt, das eigentlich nur noch hätte realisiert werden müssen. Im Nachhinein würde ich sagen, der Fehler lag darin, wir wollten es noch verdauen, präzisieren, wir wollten unsere eigene Unsicherheit, die natürlich bei jeder neuen, vielleicht sogar beispiellosen Situation vorhanden ist, zur Sicherheit werden lassen. Wir hatten Angst vor unserem eigenen Mut und vor allem, was viel schlimmer ist, vor unserer eigenen Verantwortung. Neuland wäre lieber angenommen worden unter der Ägide eines Ausstellungsmachers, auf den ja schließlich auch ein Scheitern einer solchen Ausstellung hätte abgewälzt werden können. Um es mal überspitzt auszudrücken: Im Engadin begannen wir bereits in internationalen Ausstellungsstandards zu denken, so lächerlich das von jetzt aus klingen mag, souverän authentische Momente relativierten sich zugunsten gängiger Kunstcodes. Analog zum Markt waren wir dabei, in eine jeder-gegen-jede Situation zu schlittern, ohne dies vielleicht zu erkennen. Die Wucht der Realisierung wäre ein Jahr früher, im Moment eine tiefere Naivität, größer gewesen. Unsere Unsicherheit, der Wankelmut, das Zaudern vergaben hier eine große Möglichkeit.
Ein Jahr später konnte man, zwar viel größer, aber in Ansätzen Ähnliches sehen, nämlich „von hier aus“ in Düsseldorf, eine Ausstellung, die letztlich nur ein Nebeneinander war und nie die Dichte eines Gesamtbildes erreichte, wie wir es konzipiert hatten. Ich glaube jedoch, dass ein Ausstellungsmacher an einem bestimmten Punkt seine Zweifel, vorausgesetzt er hat sie, zurückstellt und ganz pragmatisch, natürlich auch unter größerem Druck, eine Ausstellung „durchzieht“. Wir waren zu sehr zweifelnde, zaudernde, selbstkritische Künstler. Hier wären Amerikaner gefordert gewesen: Just do it.
Nach dem Engadin wurde das Ganz zerschrieben und zerredet. Darin lag aber auch mein Hautfehler: am Ende der Engadin-Zeit hätte ich vollkommen und kraftvoll in die Rolle des Realisators schlüpfen müssen: ohne Wenn und Aber Termine abklären, Arbeiten in Auftrag geben, die Künstler einfach mitreißen…
Schneede: In Düsseldorf passiert bei Ihrem Treffen noch etwas Merkwürdiges. Vorher gab es die dezidierte Absage an das Museum und nun wird plötzlich eine Rückkehr in das Museum geplant. War das ein Kompromissgedanke oder höhere Einsicht?
Huber: Das Projekt war ja schon gestorben. Die Losgelöstheit außerhalb der Institutionen wurde eigentlich nicht ertragen, man wollte sich freiwillig in den bejammerten Zustand zurückbegeben, aber eigentlich spielte es zu diesem Zeitpunkt keine Rolle mehr. Ich fuhr auch nicht mehr als Auftraggeber nach Düsseldorf, sondern als verunsicherter Künstler. Als Auftraggeber hätte ich die Konditionen bestimmt und die beteiligten Künstler in München empfangen. Statt dessen trafen wir uns in Düsseldorf, wo der Kunstmarkt bereits am härtesten zugegriffen hatte und Fragen wie „Kann ich mit dem oder jenem ausstellen“ und „Was sagt der oder dieser dazu“ bereits zu brennenden Problemen der Kunst hochstilisiert wurden. Das strategische Moment, die Fremdbestimmung waren sicher wichtige Gründe für die Zweifel. Dadurch entstand schlechte Stimmung. Zaudern und Angst nivellieren, da gibt’s keinen Platz mehr für die Utopie. Was ich innerhalb des Projekts realisiert hätte, den Balkon als Bild des Überblicks, konnte ich während des Ablaufs des Projekts nicht mehr aufrechterhalten. Das Spiel war zu schwierig für mich, die Rolle, zu der ich antrat, hielt ich nicht durch. Doch letztlich akzeptierten auch die Künstler die Regeln des Spiels nicht, sondern meist nur ihre eigenen.
Ich glaube, zu diesem Zeitpunkt war eigentlich die Bereitschaft, vom eigenen egozentrischen und stilisierten Thron herunterzusteigen und einen Teil der Arbeit in den Dienst eines Gesamtprojektes zu stellen, gar nicht mehr vorhanden. Anscheinend entstehen Solidarität oder Utopien immer nur aus dem absoluten Elend, aus dem Darben. Ein bisschen den Kopf aus dem Sumpf, und man liebt seine Zeit.
Schneede: Das klingt, als zeihe der Auftraggeber seine Arbeitnehmer der Korrumpierbarkeit.
Huber: Ich hab’s nicht mal wertend gemeint, außerdem: Alles, was hier gesagt ist, schließt mich ein. Das Problem an Gruppenzwängen ist, dass man immer wieder auf der Ebene des Psychologisierens kommt, wie auch in unserem Interview einige Male. Dies jedoch schadet der Klarheit der Kunst. Zu diesem ganzen Komplex noch ein grundsätzliches Wort: Von heute aus, mit zum Teil anderen Haltungen im Kopf, ist es sehr schwer, die damaligen Vorkommnisse richtig zu bewerten. Die Frage ist doch, wo setze ich an? Welche Hebel benütze ich? Meine heutige Erkenntnis oder die Rekonstruktion des damaligen Wissensstandes?
Schneede: Bedeuten die Hinweise auf die Marktmechanismen, dass die Bedingungen, unter denen Sie alle arbeiten, Ihnen eigentlich nicht mehr gestatten, ein solch ideales Projekt zu realisieren? Die Utopie ein Opfer des Marktes?
Huber: Ich würde sagen, viele Künstler lassen sich von den äußeren Bedingungen so beeinflussen, dass sie es sich selbst nicht gestatten. Markt per se ist nichts schlechtes. Zensur findet doch heutzutage im eigenen Kopf statt. Die Bedingungen sind nie besser als die Menschen, die damit zu tun haben. Die Abhängigkeiten sind hier selbstgewählt. Abhängigkeiten machen kraftlos.
Schneede: Das Projekt ist nun gescheitert? Was ist mit dem Anspruch, der ihm zugrunde lag? Ist das angepeilte Ideal prinzipiell nicht zu realisieren?
Huber: Diese Frage kann ich nur für mich und von heute aus beantworten: Der Anspruch aus dem Projekt formuliert sich noch am ehesten im Nenner einzelner Freundschaften. Was das Ideal der gemeinsamen Arbeit betrifft, daran glaube ich nicht mehr. Das ist vielleicht möglich bei zwei bis drei Personen mit fast identischen Vorlieben, mit ähnlichen Geisteshaltungen. Stehen sich aber disparat monadische Strukturen gegenüber, so gibt es keinen Grund, diese Strukturen ineinander zu verwässern. Damals sahen wir jedoch die Kunst viel stärker als experimentelles Feld. In den letzten Jahren ist für mich der Weg der Kunst sehr eng geworden, man ist so stark in seinen eigenen Gedanken und Plänen verstrickt, dass die Bereitschaft zu endlosen Diskussionen über Punkte, die man selbst schon längst abgehakt hat, nachlässt. Man ist beschäftigt, den eigenen Gedanken die Präzision zu verleihen. Deshalb wird man in seinen Haltungen rigider. Ich glaube sogar, dass zu großes Verständnis und immerwährende Toleranz in der Kunst nivellieren und auf Dauer blind machen. Vielleicht liegt die Utopie heute nicht in gedanklichen Gespinsten, sondern in der Reinigung von falschen Vorstellungen.